Hanauer Stadt Anzeiger, 01.12.2021
Christine Semmler
Sofia Torres Bastidas lebte schon lange in Deutschland, als sie etwas erkannte, das ihr Leben bis heute prägen sollte. Die gebürtige Venezolanerin hatte war damals schon lange glücklich mit ihrem Mann Nicolai Vogt verheiratet. Sie hatte zwei Kinder bekommen und sich nach der Studienzeit in Köln in Großkrotzenburg eingelebt.
„Damals kam meine Mutter über Weihnachten aus Caracas zu Besuch und wir haben gemeinsam Hallacas gemacht, eine typisch venezolanische Maispastete im Bananenblatt, die sehr aufwendig herzustellen ist“, erinnert sie sich. „An diesem Tag habe ich gemerkt, dass mir die ganze Zeit etwas gefehlt hat – nämlich das Essen aus meiner Heimat.“
Torres Bastidas, 1970 als jüngste von fünf Geschwistern in Caracas geboren, kam mit 27 Jahren nach Deutschland. „Ich hatte Tourismus studiert, und mir war immer klar, dass ich mehr von der Welt sehen wollte“, sagt sie. Die junge Frau landete zunächst in Köln, studierte weiter Sprache und Kommunikation und lernte dort später ihren Mann kennen. „Er ist Künstler. Als er 2008 eine Lehrerstelle am Kreuzburg-Gymnasium bekam, haben wir uns entschieden, nach Großkrotzenburg zu ziehen.“ Hier wurden auch ihre beiden Kinder Emilia und Aurelio groß, sie sind heute 13 und 18 Jahre alt.
Nach besagtem Weihnachtsessen vermutete Torres Bastidas, dass sie sicher nicht die einzige Venezolanerin ist, die Sehnsucht nach den Speisen der Heimat hat: Typisch venezolanische Produkte sind aber in Deutschland so gut wie nirgends zu bekommen.
Ihre venezolanischen Partys schlugen beim Publikum ein
„Meine Schwester Carol hat mir am Anfang Produkte mitgebracht, wenn sie mich besucht hat“, sagt sie. Gemeinsam stellten die beiden erste kleine Events für Landsleute auf die Beine, mit Musik und typischen Speisen. Dazu gehören Hallacas, Arepas, (Taschen gefüllt mit Rindfleisch, Käse oder Gemüse), oder das Nationalgericht Pabellón (gezupftes Rindfleisch, Kochbananen und Bohnen). Die Partys, mal im Haus am See, mal beim Kaninchenzuchtverein, schlugen beim Publikum ein. Sie sprachen sich herum und bald veranstaltete die Wahl-Großkrotzenburgerin auch Events für Landsleute in Frankfurt, in Düsseldorf oder anderen Städten.
Die begehrten Rohstoffe aus Lateinamerika waren allerdings nicht leicht zu besorgen. Venezuela befindet sich seit 2013 in einer Versorgungskrise: Der Export von Lebensmitteln aus dem Land ist seither verboten. „Wir bekommen die renommierten Marken, die wir aus unserer Kindheit und Jugend kennen, inzwischen aus Kolumbien, aus der Dominkanischen Republik oder aus Spanien“, berichtet Torres Bastidas.
Das Kochen machte der Jungunternehmerin so viel Spaß, dass sie ihre Küche bald auch auf Streetfood-Märkten anbot. Auch das klappte gut. Schließlich füllte Torres Bastidas mit ihren venezolanischen Spezialitäten eine echte Marktlücke. „Viele freuten sich, mal was anderes, exotisches zu probieren“, erinnert sie sich. Sie war kurz davor, sich ihren eigenen Food-Truck zuzulegen, als Corona kam. Streetfood-Märkte wurden abgesagt. Die Idee war Geschichte.
Weil aber die Anfragen nicht abrissen, entschied sie sich kurzerhand, zumindest die Rohprodukte, das typische Maismehl, den venezolanischen Kaffee, die süßen Chilis oder den Rum weiter zu verkaufen.
Sie ist wohl die einzige Händlerin in Deutschland, die sich auf venezolanische Produkte spezialisiert hat. Die Anfragen kommen aus Deutschland und der ganzen EU, berichtet sie. Auch sechs Restaurants gehören zu ihren Kunden.
Online Shop als neues Standbein
Das macht sie inzwischen seit einem Jahr. Denn Corona hat, wie man weiß, keine größeren Feste mehr zugelassen.
Inzwischen ist auch ihre Schwester Carol nach Deutschland gezogen und fest mit im Boot. 170 Produkte haben sie inzwischen in ihrem Webshop www.hamvenezuela.com im Angebot. „Ich fühle mich sehr wohl mit der Geschäftsidee“, sagt Sofia Torres Bastidas. Der Shop soll auch weiterhin Bestand haben.Er befindet sich einen Katzensprung vom Franziskanergymnasium entfernt, der Wirkungsstätte ihres Mannes. „Ich liebe Großkrotzenburg“, sagt sie. „Wir haben den See, den Wald und sehr liebe Nachbarn.“ Ein Teil ihres Herzens gehöre zwar nach Venezuela, sagt sie. „Aber ich habe hier mein Zuhause gefunden.“
www.hamvenezuela.com/shop